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Vater unser - Band 1

VATER UNSER

„Vater unser, der du bist im Himmel”

[Mt 6,9b]

Band 1_Vorwort

Das von uns Christen am meisten aufgesagte Gebet ist würdig, lang meditiert zu werden. Es ist für uns nicht leicht, die Gebetsweise des Herrn anzunehmen, denn wir haben schon unsere Gewohnheiten!

Deshalb haben zu allen Zeiten Hirten, Mystiker und Kirchenlehrer, kleine und große Jünger Jesu versucht, Christen zu helfen, aus den Worten des „Vater unser« etwas von seinem Geist zu entnehmen, um sie zu einem bewußten Beten zu führen.

Versuchen wir nochmals, das „Vater unser« zu lesen, als ob wir es nie auswendig Wort für Wort gelernt hätten.

Vielleicht gewährt uns der Heilige Geist, tiefer in sein Beten, in seine Liebe zum Vater und in den Heilsauftrag Jesu für die Welt einzudringen.

Don Vigilio Covi

 

1. VATER

1. A

Die Jünger Jesu beten wie alle guten Juden, die dreimal am Tag innehalten, um Stellen des Wortes Gottes, besonders die Psalmen, zu rezitieren.

Trotzdem fühlen sie, daß Jesus, ihr Rabbi, eine neue Art hat, das Gebet zu leben. Oft sehen sie ihn die Gruppe verlassen und sich an einsame Orte zurückziehen. Sie wissen, daß er es tut, um zu beten. Wenn er mit ihnen betet, merken sie, daß seine Worte nicht mechanische Wiederholungen sind, sondern sie fließen voll Leben von seinen Lippen, als ob sie zum ersten und einzigen Mal gesagt würden.

Meister, lehre uns beten!

Lehre uns! Wir wollen von dir lernen!

Übrigens unterscheiden sich alle Rabbiner in ihrem Gebet. Jeder Rabbi verwendet bestimmte Gebetsregeln für seine Jünger, die sich von denen anderer unterscheiden. Auch die Jünger Jesu wollen sich von anderen Gruppierungen unterscheiden, sie wollen „jemand« sein.

Welches kann das Gebet sein, das sie zur gleichen Gruppe gehörend ausweist und das sie zur gleichen Zeit von allen anderen Gruppen unterscheidet?

Die Frage der Jünger Jesu ist schön, wenn auch gefährlich.

Jesus hat wirklich eine einzigartige, neue und wahre Art zu beten; aber der Grund, warum sie die Jünger kennenlernen wollen, könnte aus dem Vergleich mit den Menschen, aus Stolz, aus einem Geist der Absonderung entspringen. Sie begründen ihre Frage nämlich so: „Denn auch Johannes hat seine Jünger beten gelehrt.«

[Lk 11,1]

Sie möchten eine abgesonderte Gruppe sein, erkennbar an Taten und Formeln, die nichts kosten! Sie kennen noch nicht ihren Lehrer, der sich von anderen Lehrern dadurch unterscheidet, daß er sich hingibt, ja sich hingibt bis zum Tod!

Jesus beantwortet die Frage seiner Jünger. Mit viel Wohlwollen nimmt er ihre Aufforderung an, und er „diktiert« ein Gebet, das nicht gemacht ist, um sich zu unterscheiden und sich erkennbar zu machen. Sie werden bald merken, daß dies kein Gebet ist, das dem geistlichen Stolz und der Trennung Raum gibt; es ist hingegen ein Gebet, welches das Herz des Betenden umwandelt, ein Gebet, das den Menschen vor Gott stellt als Glied eines Leibes; es stellt die vereinten Jünger vor den Vater als Brüder im Bewußtsein, daß sie der ganzen Welt dienen.

Nicht eine besondere Art zu beten wird sie als Jünger Jesu auszeichnen, sondern ihr Leben: „Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, daß ihr einander liebt.« [Joh 13,35]

Ihr Gebet wird also die innere Annahme einer Haltung sein, die sie „praktisch« zu Brüdern macht. Wenn sie so beten, werden die Jünger Jesu „eins« mit ihm, sie werden Gabe, Opfer. Wenn sie wie Jesus beten, wird ihr Leben „eins« mit dem seinen werden.

Die Jünger Jesu werden imstande sein, Brüder zu werden, füreinander zu sterben, die Lasten der anderen zu tragen, ohne persönliche Interessen zu leben, ohne Ambitionen, ohne Idole!

Das Gebet Jesu ist nicht ein Moment, der sich von anderen Momenten unterscheidet, es drückt hingegen den wahren Sinn seines ganzen Leben aus, und das ist die Beziehung zum Vater, die es gleichzeitig nährt.

Von Jesus beten lernen, heißt nicht, lernen etwas zu „tun« oder etwas zu „sagen«, sondern lernen, in einer ständigen, festen und treuen Beziehung mit dem Vater zu leben - und das verwandelt das ganze Leben!

VATER,

erbarme dich unser;

wir möchten zu dir mit dem Herzen deines Sohnes beten!

Wir danken dir, daß du ihn uns gegeben hast

als Lehrer unserer Beziehung zu Dir.

 

1. B

„Wenn ihr betet, sagt: Vater...«

Jesus beginnt seine Lehre, indem er den Seinen zeigt, daß ihr Gebet anders ist, als jenes der Pharisäer und der Heiden, nicht weil die Worte anders sind (auch jene sind anders!), sondern aus folgenden Gründen: anders ist das Herz, das betet, anders sind die Wünsche, anders die Lebensperspektiven, anders ist die Kenntnis Gottes und die Selbstkenntnis, anders sind die Interessen, welche die Gefühle und Gedanken bewegen.

Das Gebet der Pharisäer ist erfüllt von Ehrgeiz und Stolz. Sie sind zufrieden mit sich selbst, mit ihrem Gebet, mit ihrem Tun. Ihr Gebet wird verrichtet und gelebt, um der Wertschätzung der Menschen Willen. Die Pharisäer glauben, die besten unter den Menschen zu sein, nicht zu sündigen, das Gesetz zu befolgen, und daher die Wertschätzung Gottes zu verdienen! Sie meinen, da sie gesetzestreu sind, schon im Besitz des Himmelreichs zu sein. Sie meinen, kein Erbarmen zu brauchen, da sie keine Sünder sind, wie die anderen!

Ihr Gebet ist also von dieser Art des Denkens durchdrungen. Inwiefern?

Sie brauchen auf Gott nicht zu hören, denn sie wissen schon alles. Sie brauchen nicht um Nachsicht und Vergebung zu bitten, denn sie sind strenggläubig. Sie stellen sich nicht vor Ihn zusammen mit anderen, um nicht unrein zu werden wie sie.

Tut nichts und betet nicht wie sie!

Jesus empfiehlt seinen Jüngern nicht so zu beten, denn dies ist kein Gebet. Diese Art zu beten begegnet nicht Gott, der Liebe ist.

Dieses Beten ist eine Instrumentalisierung der Beziehung zu Gott, um vor den Menschen schöne Figur zu machen. [Mt 6,5]

Die Jünger Jesu sollen auch nicht das Gebet der Heiden zum Vorbild nehmen. Was sie auch beten und wie viele Worte sie beim Beten verwenden, die Heiden sollen die Christen nicht neidisch machen. Ja, die Heiden beten und wie! Aber schlußendlich ist ihr Gebet verschwendete Zeit und Energie. „Verwendet nicht viele Worte, wie die Heiden!« Jesus ist so klar und deutlich. Wieso?

Es ist einfach. Die Heiden suchen nicht „das Angesicht Gottes« [Ps 27,8], sie versuchen nur etwas von ihm zu erhalten. Sie lieben Gott nicht, sie interessiert nur „etwas«! Sie gebrauchen viele Worte [Mt 6,7], denn sie wollen gehört und erhört werden. Sie glauben zu wissen, was ihrem Leben, ihrem Glück fehlt, und sie tun alles, um es von jenem „Gott« zu erlangen, der nach ihnen alles kann! Indem sie bitten, versuchen sie ihn zu überzeugen, einzugreifen. Wenn die Worte nicht genügen, um ihn gütig zu stimmen, bieten sie ihm sogar Opfer an.

Der Prophet Elias sprach so zu den heidnischen Propheten des Gottes Baal: „Ruft lauter, denn sicher ist er ein Gott. Er könnte gedankenversunken oder verreist sein. Vielleicht schläft er und wacht dann auf.« [1 Kön 18,27]

Auch die Philosophen des Altertums, seien es die Stoiker oder Epikuräer, sind zum Schluß gekommen, daß Beten unnütz ist. Und sie haben nicht Unrecht!

Ein so verstandenes Gebet ist umsonst, es hinterläßt keine Spur im Leben, es verbessert die Existenz nicht.

Indem der Egoist so betet, bleibt er ein Egoist. Der Gewalttätige und der Überhebliche bleiben mit diesem Gebet Unterdrücker. Der Dieb und der Unreine bleiben dieselben. Der Geizige läuft sogar Gefahr, geiziger zu werden.

Das Gebet des Heiden beinhaltet ein bestimmtes Vertrauen in Gott, aber es handelt sich um ein eigennütziges Vertrauen. Das Herz des Betenden bleibt verschlossen, auf sich und seine Interessen bezogen. Der Heide, der betet, um etwas von Gott zu erlangen, hält nicht inne, um zu verstehen, ob Gott etwas zu fragen hat: er hört nicht zu! Und er hält auch nicht inne, um dem Blick Gottes zu begegnen, um sich am Licht seines Angesichts zu erfreuen.

Es ist klar, daß Jesus uns ein ganz anderes Gebet anbietet!

Herr Jesus, lehre mich beten! Schenke mir ein Gebet, das ins Herz des Vaters eindringt, der immer liebt!

Vater, ich liebe dich, ich höre auf dich! Rede zu meinem Herzen, denn ich will dir ähnlich sein!

 

1. C

Jesus will, daß seine Jünger während des Gebetes frei von jeder Sorge sind. Er weiß, daß die Sorgen verhindern, einer Person in ihrem Innersten zu begegnen, denn sie blockieren Herz und Geist. Die Sorgen, auch die einfachsten und unmittelbarsten, die wir haben können, hindern uns, das Angesicht Gottes zu „schauen«, ihm zu begegnen, ihn ganz zu lieben.

Bevor Jesus uns das Gebet lehrt, fordert er uns auf, die Sorgen – oder besser den „Sorgengeist« - zu entfernen. Der Gott, vor den wir uns im Gebet stellen, ist ein Vater!

Er weiß, was wir nötig haben. Er weiß um all unsere Bedürfnisse, denn er liebt uns!

Ich kann deshalb in meinem Herzen die Freude der Begegnung mit ihm sprudeln lassen. Ich interessiere mich für ihn. Er kümmert sich um mich.

Deswegen schalte ich mein „Ich« vom Gebet aus, sonst öffnen sich die Türen meines Herzens nicht, wenn Er kommt.

„Euer Vater weiß, wessen ihr bedürft, noch bevor ihr ihn darum bittet.«

Ich brauche also nicht an meine Bedürfnisse zu denken!

Gerade weil ich weiß, daß Gott mein Vater ist, sorge ich mich nicht; so wird mein Gebet ganz neu. Ich kann mich auf die Betrachtung und das Hinhören verlegen, und ich werde es mit der vollen inneren Freiheit tun. Ich werde nicht „besorgt« sein, daß mir aus meiner Begegnung mit Gott ein Vorteil entsteht, oder daß ich etwas Neues erlebe, daß mein Schatz an Geld, Ideen, Macht, Fähigkeiten, an menschlicher Wertschätzung wächst.

Wenn mein „Ich« frei von sich selbst ist, kann es sich verschenken, lieben, sich an der Schönheit Gottes freuen, auf seine Wünsche hören und sich vorbereiten, sie zu verwirklichen.

Wir haben schon darauf hingewiesen, daß Jesus schon zu Beginn des Gebetes Gott nicht einfach „Gott« nennt (das ist ein allgemeiner Name, den jeder mit anderer Bedeutung gebrauchen kann), sondern „Vater«.

Von den Evangelisten und den Aposteln wissen wir, daß Jesus sogar den aramäischen Ausdruck gebraucht hat, den die Kinder ihren Eltern gegenüber gebrauchten: „((((« „Abba«, so als ob wir heute „Vati« oder „Papi« sagen würden.

Mit diesem Wort fängt das Gebet an, das Jesus auf den Lippen seiner Jünger „blühen« sehen möchte: „Vater, Papi!«

Sich so ausdrücken, heißt Kind werden. [Mt 18,3]

Der Christ, der beten anfängt, macht sich klein. Und er wird zart und süß wie ein Kind.

So macht es Jesus, der sich vom Vater erkannt weiß. Ein Vater kennt den Sohn, noch bevor im Sohn das Selbstbewußtsein entsteht, noch bevor er nach dem Sinn seiner Existenz fragt. Dieser Sinn ist im Geheimnis der Vaterliebe gegeben! Jesus versucht nie, sich selber zu erkennen, denn ihm genügt es, dem Vater zu begegnen, mit ihm als Sohn in Beziehung zu sein.

Wenn sich diese Beziehung entwickelt und zeigt, gibt es Freude am Leben, und alles bekommt eine große und schöne Bedeutung! Wenn der Mensch Gott „Vater« nennt, verwirklicht er sich vollkommen, denn er akzeptiert von Dem geliebt zu werden, der ständig Leben schenkt!

Danke, Herr Jesus, daß du mich das wahre Angesicht Gottes erkennen läßt.

Du läßt ihn mir mit Zärtlichkeit als meinen Vater lieben!

Du gibst mir die Sicherheit, geliebt, beschützt, erwartet zu werden.

Ich danke dir.

Und ich danke dir, Papa, daß du wirklich mein Papa bist!

Ich vertraue mich dir an, ich vertraue dir!

Ich komme zu dir durch Jesus, deinen wahren Sohn!

 

1. D

Bevor Jesus die Jünger in sein Gebet einführt, schenkt er ihnen die eigene Kenntnis Gottes. Er offenbart ihn als „Papa«.

Dasselbe Gebet kann verschiedene Bedeutungen und Auswirkungen haben, wenn die Kenntnis Gottes verschieden ist. Also versucht Jesus, den Jüngern den Namen des Vaters [Joh 14,7; 8,9; 17,6.26] zu offenbaren, ihnen verständlich zu machen, daß sie schon von Gott geliebt und gewollt sind. Er überzeugt sie, mit Worten und Taten, daß Gott ein Freund der Menschen ist, daß er nicht ihr Herr sein will, daß er keine Interessen zu verteidigen hat, sondern nur Liebe in ihre Herzen fließen lassen will. [Lk 15,1 ff.]

Die Menschen haben große Mühe, diese „Lektion« Jesu zu akzeptieren, denn in ihren Herzen ist die Idee von einem eifersüchtigen, rachsüchtigen und strafenden Gott fest verwurzelt; von einem Gott, der die Sünden des Menschen nicht vergißt. Seit Adam diesem Verdacht gegen Gott in sich Platz gegeben hat, ist dieses Mißtrauen in die Menschheit gekommen. Und jede Sünde, die der Mensch begeht, weckt und nährt diese falsche Meinung.

Es braucht die ganze Weisheit und Geduld Jesu, seine Demütigung im Jordan, sein Werk zugunsten des besessenen und von Krankheiten - die als Strafe Gottes für die Sünde angesehen werden - geplagten Menschen.

Es braucht seinen Tod und seine Auferstehung und schließlich die Gabe seines Geistes, damit der Mensch Gott wirklich und immer als echten Vater sieht.

Wenn ich überzeugt bin, daß Gott mein Vati ist, dann kann ich in die Art des Betens Jesu eintreten. Nur dann verstehe ich das Gebet Jesu und finde es vollkommen! Dann wird dieses Gebet der Weg oder die Treppe oder die Tür, die mich in das Leben Gottes einführt, das heißt in sein Herz. Dann wird das Gebet zum unmerklichen, aber sicheren Weg, der mein Leben verändert.

Dann ist das Gebet nicht mehr unnütz, verlorene Zeit, vergebene Mühe.

Wenn ich Gott als Abba/Vati sehe, merke ich, daß nicht ich es bin, der ihn erreicht, sondern daß Er derjenige ist, der mich erreicht; nicht ich liebe ihn, sondern Er ist es, der mich liebt. [1 Joh 4,10]

Wenn ich ihn als Vati sehe, stelle ich ihn mir nicht mehr entfernt, unerreichbar vor; sorge ich mich nicht mehr, ihm etwas zu sagen, sondern fange an, mich an ihm zu freuen. Wenn ich ihn als Vati sehe, bin ich froh, seine Stimme zu vernehmen, auf sein Wort zu hören.

Er kann mich einfach mit Namen rufen, oder mir ein Wort des Trostes sagen, das mich beruhigt, oder mich bitten, einige Mühe auf mich zu nehmen.... Er ist ein Vater und ich höre ihm aufmerksam zu und gehorche ihm mit Freude. Aus Ihm strömt ständig mein Leben.

Ich spüre den Psalmvers als wahr: „Wolltest du schweigen, würde ich denen gleich, die längst begraben sind!« [Ps 28,1] Das Wort meines Gottes ist Werk eines Vaters; es ist Leben, das aus ihm strömt, mich erreicht und mich erhält. Mit dem Wort „Vater« führt uns Jesus in die Kenntnis und in die Beziehung ein, die er mit dem Vater hat.

Welcher Unterschied zur Gotteskenntnis, die uns die sogenannten Philosophen weitergeben möchten! Sie bauen das Gottesbild – oder malen ein Antlitz Gottes – mit den Ideen, die den Erfahrungen des Menschen entspringen. Diese Erfahrungen sind aber alle gekennzeichnet, außer von der Begrenztheit, auch von der Unvollkommenheit und von der Sünde des Egoismus und des Materialismus. Das Antlitz Gottes, das daraus entsteht, schenkt keine Freude, führt nicht zum Vertrauen und zur Demut, sondern nur zur eigenen Wichtigkeit, zum eigenen Ruhm.

Jesus läßt mich spüren, geliebt zu sein, ja von einem Vater geliebt zu werden, der Vati für mich sein will. Wenn ich mit Jesus bete, befinde ich mich vor Dem, der mein Leben und mein Glück will.

Herr Jesus, ich will von dir lernen, den Vater zu betrachten, ihn zu lieben und auf ihn zu hören. Nur du stellst mich in wahre Beziehung zu ihm, so daß ich ihm wirklich begegnen kann. Du öffnest meine Ohren, damit ich die Worte hören kann, die der Vater an mich richtet.

 

1. E

Das erste Wort des Gebetes Jesu, das Gebet, welches das meine werden soll, ist kein Ehrentitel, kein Adjektiv, so schön und wahr es auch sein mag.

Das erste Wort ist ein Riß in meinem Herzen und in meinem Geist; es ist eine plötzliche Öffnung für eine neue Liebesbeziehung.

„Vater!«

Wer nicht liebt oder nur sich selber liebt oder seinen eigenen Ruhm unter den Menschen, wird andere Worte finden, um sich an Gott zu wenden.

Dieses Wort „Vater« ist wahr, wenn man es mit Liebe ausspricht. Wer nicht liebt, ist nicht imstande, es zu sagen und es sich zu eigen zu machen.

„Vati« sagen, verursacht einen Fall des Stolzes und des angeborenen oder jenes von unserer Kultur aufgebauten oder von unserem Selbstbewußtsein gemachten Individualismus.

Der Ausdruck „Vati« ist nicht der Name von irgendeiner fremden Person, es ist eine Öffnung, ein Anerkennen meiner Abhängigkeit und dann auch Dankbarkeit.

Zu Gott „Vati« sagen, ist wie zu ihm sagen: „Ich weiß, daß ich lebe, weil du es willst; ich weiß, daß du mich liebst; mein Leben ist die Frucht deiner Liebe; ich habe mit dir zu tun, ohne dich kann ich nicht leben!«

Zu ihm „Vati« sagen, ist sich beruhigen; alles was mich ängstigt oder bedrückt, mit diesem Wort im Herzen finde ich wieder Sicherheit und Mut. Es geschieht in mir das, was im Kind passiert, das dem Vater die Hand gibt oder ihm auf den Arm springt: es hat keine Angst mehr!

Zu Gott „Vati« sagen, heißt seinen eigenen Platz finden, seine eigene tiefste und dauerhafteste Identität; ich existiere nicht als jemand, der etwas sein muß; ich bin jemand, der geliebt wird und der auf die Liebe antworten kann. Ich bin „jemand«, wenn ich dem antworte, der mich seit jeher liebt; meine Größe ist die Größe Desjenigen, der mich liebt und dem ich mich anbiete!

Wenn ich auf die Liebe des Vaters nicht antworten würde, wäre ich wirklich ein Nichts, eine Leere!

Wenn ich die Augen zum Himmel richte und „Vati« sage, breche ich den Stolz meines Individualismus, meines Traumes von Größe.. In diesem Moment öffnet sich mir die Möglichkeit, die Geheimnisse Gottes zu empfangen, das heißt die Geheimnisse der Liebe, der Demut, der Einfachheit und der Milde.

Nur den Kleinen offenbart Gott sein Wesen, nur mit den Kleinen hat er Gemeinschaft. [Mt 11,25-27]

Wenn ich zu Gott „Vati« sage, verschwinden all meine irdischen Interessen, meine Luftschlösser, meine Wünsche. Es ist, als ob ich sagen würde: zeige mir deine Wünsche, ich will sie realisieren; ich will mit dir mitarbeiten und tun, was du tust. Auch das Kind freut sich, zu tun, was die Mutti tut, und dem Vati bei seiner Arbeit zu helfen. Gott ist nicht mehr der Konkurrent, sondern der erste Vertraute; er ist nicht einer, der mich begrenzt, sondern einer, der mir neue Möglichkeiten eröffnet – die seinen!

Wenn ich „Vati« zu ihm sage, bleibt meine Liebe zu ihm nicht mehr versteckt.

Dieses erste Wort im Gebet der Jünger Jesu äußert die Liebe, die im Herzen ist: es ist ein Wort, das sie kompromittiert! Wer die Jünger hört, merkt, daß sie lieben, daß ihr Herz voll ist, daß es ihnen bewußt ist, daß sie geliebt werden, daß sie zufrieden sind.

Dieses erste Wort macht sie zu Zeugen des Heiles! Sie merken es nicht, aber die Liebe, die sie in den Ausdruck dieser zwei Silben „Ab-ba«, „Va-ter« legen, macht sie zu Zeugen Desjenigen, den man nicht sieht; wer sie hört, fängt an, Gott zu „sehen«, sich zu überzeugen von der Existenz von Einem, der uns liebt!

Du guter und großer Vater, auch ich will dich „Papi« nennen!

Du bist mein Vater, du liebst mich; du selbst hast gewollt, daß ich existiere, daß ich auf die Welt komme, daß ich in dieser Welt bin, die von deiner Liebe durch das Wort, deinen Sohn, geschaffen ist!

Du sorgst dich um mich, und ich bin bereit zu tun, was du tust, bereit auf deine Stimme zu hören und all deine Winke schnell zu befolgen, denn es sind Winke

eines Liebenden!

Vati!

 

1. F

Jesus hat so gebetet.

Er beginnt alle seine Gebete mit der Anrufung „Vater«, „Vati«. [Mt 11,25-27; Mk 14,36; Joh 11,41; 12,28; 17,1.5.11.21.24.25] Er legt auch auf unsere Lippen sein Wort, denn er will, daß seine Liebe in unser Herz eindringt.

Indem er uns dieses Wort schenkt, versetzt er uns in die Lage, uns zu kompromittieren.

Wer so betet, kann nicht kalt, normal, gleich wie immer bleiben. Man merkt, daß es ihm nicht um schöne Worte geht, sondern daß er in einer Liebesbeziehung mit Der Liebe steht, daß er Kind, Sohn ist!

Auf solche Weise werden wir eben „geführt«, in uns den Geist der Sohnschaft anzunehmen. Wir sind versucht, vor Gott in einem Geist der Unterwürfigkeit, wie Diener oder Sklaven vor deren Herren, mit erniedrigtem Haupt und demütigen Augen zu verharren. Jesus will aufrichten, er will uns unsere große Würde bewußt machen, auch die große Achtung, die Gott selber uns gegenüber hat, gegenüber unserer Freiheit und unserer Person.

Wenn wir „Vater« sagen, nehmen wir den Geist der Sohnschaft, den Heiligen Geist in unserem Leben an. Er ist es, der in unserem Herzen ruft: „Abba.« Es ist derselbe Heilige Geist, der Geist Gottes, der uns erhebt zum Vertrauen und zur Zuversicht in den Vater, zur Freude über das Vertrauen, das Er uns als Kinder schenkt. Es gibt keine Angst vor Gott mehr, sondern es fängt die Freude an, mehr als Menschen zu sein, „eben Kinder Gottes zu sein!« [Röm 8,15; Gal 4,6-7]

Das Gebet, das Jesus uns lehrt, ist also eine neue Haltung, bis dahin nie gegenwärtig im menschlichen Herzen.

Seit Adam eingewilligt hat, an der Liebe Gottes zu zweifeln, ist er nie mehr imstande gewesen, ihn Vater zu nennen.

Adam - und mit ihm und wie er jeder Mensch nach der ersten Rebellion des Lebens - hat sich von der Zuversicht und vom Vertrauen entfernt.

Wenn wir uns jetzt mit Jesus – dem neuen Adam – vereinen, um „Vater« zu sagen, kehren wir zur vollen Wahrheit zurück, kommen wir zum Licht, um Gott zu sehen, wie er wirklich ist: einer, der uns liebt und schätzt! Wir sehen nicht mehr einen „Gott«, sondern einen „Vati«!

Das Wort „Abba« ist nicht ein „Name«, es ist mehr! Wenn wir dieses Wort aussprechen, treten wir in eine Beziehung ein, in eine Bewegung gegenseitiger Liebe.

Einen göttlichen Namen aussprechen, hätte für uns die Bedeutung von Besitz, von Beziehung unter fast Gleichwertigen, wenn nicht von Überlegenheit; von einer Kenntnis, die etwas oder alles von Gott besitzt. Daraus würde eine Beziehung von Stolz oder Anmaßung anderen Menschen gegenüber entstehen, die den gleichen Namen „nicht kennen«. Deswegen bleibt der Name Gottes dem Menschen verborgen, und der Mensch fühlt, daß er ihn nicht ungestraft nennen darf.

Gott selbst braucht keinen Namen, um identifiziert zu werden, denn Er ist der Einzige!

Der Mensch, der von den Götzen versucht wird, braucht die Unterscheidung zwischen dem lebendigen Gott und den stummen Götzen!

Der Mensch, der sich anmaßt, den Namen Gottes auszusprechen, gelangt in die Dimensionen der Magie und baut sich eine Welt der Macht und der Beherrschung anderer Menschen auf. Er tritt aus der Liebe, er entfernt sich vom wahren Gott!

„Abba« sagen ist hingegen ein Offenbaren der eigenen Zugehörigkeit und Abhängigkeit; es ist, als ob man sagen würde: „Ich weiß, wem ich gehöre, ich weiß, daß ich nicht allein bin, kein Waisenkind; ich weiß, daß ich angenommen, geliebt werde!

Ich weiß, daß jemand – Gott selbst – die Verantwortung für mein Leben übernommen hat. Er ist es, der ihm einen Sinn und einen Wert gibt. Ich bin sicher – heute und morgen, was auch geschehen mag, denn Du bist bei mir! Ich vertraue dir!«

Wenn du betest, probiere auch du das Wort „Vati« zu wiederholen!

Und wenn du mit jemandem über Gott sprichst, gebrauche das Wort „Vater«. Und wenn du mit deinem Freund oder mit deiner Braut / deinem Bräutigam oder mit deinen Kindern und deiner Frau / deinem Mann betest, sage laut nicht nur

„Herr, Gott ...«, sondern auch „Vater« und „Papi.« So wirst du merken, daß du ein Zeuge Gottes bist, und du wirst mehr Demut und Sicherheit haben; so kann eine einfachere und ernstere Beziehung mit den Personen entstehen, mit denen du betest.

„Vati«, da bin ich, ich bin dein Kind. Ich danke dir, daß du mein Vater bist, mein Gott. Offenbare mir deine Vorhaben und deine Vorgangsweise, denn ich will an deinen Plänen mitarbeiten.

Da bin ich!

„Ich ließ meine Seele ruhig werden und still; wie ein kleines Kind bei der Mutter, ist meine Seele still in mir.« [Ps 131,2]

 

 

2. UNSER

2. A

Wenn Jesus laut betet, sagt er einfach „Vater« oder „Abba«. Wenn er zu seinen Jüngern über Gott spricht, sagt er „Euer Vater«. [Mt 5,16.45; 6,1.8.14.26; 7,11]

Er macht eine Unterscheidung: für Ihn ist Gott anders Vater als für uns. Er ist das ewige „Wort«, das Fleisch geworden ist; er ist der Eingeborene Gottes.

[Joh 1,2.14.18]

Für ihn hat das Wort „Sohn Gottes« eine vollkommene, umfassende Bedeutung. Sein Leben ist ganz aus Gott „gezeugt«, der also für ihn „Vater« im tiefsten und wahrsten Sinn des Wortes ist. Wir sind „in Sünde gezeugt«, in uns ist etwas, das nicht Liebe ist, das nicht aus Gott kommen kann! In unserem Leben gibt es Neigungen, die nicht in der Liebe des Vaters ihren Ursprung haben. Wir sind nicht ganz „Kinder« Gottes, nicht alles in uns ist von Gott gezeugt.

Er selber ist es, der – trotz der Unreinheit unseres Lebens – uns erwählt, wäscht, reinigt, uns an seinen Sohn bindet, indem er uns mit seinem Blut nährt, und von diesem Augenblick an betrachtet er uns und nimmt uns als seine Kinder an. Unsere Sohnschaft gegenüber Gott ist die Teilhabe an der Sohnschaft Jesu.

Der heilige Johannes wiederholt es ständig: „Denen, die ihn aufgenommen haben, hat er Macht gegeben, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben.« [Joh 1.2.14.18]

„Jeder, der glaubt, daß Jesus der Christus ist, stammt von Gott.« [1 Joh 5.1]

„Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn nicht hat, hat das Leben nicht.«

[1 Joh 5,12]

Auch der heilige Paulus kündigt sein ‚Evangelium‘ (die gute Nachricht) so an: „In ihm hat er uns dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus.« [Eph 1,5] Wir sind „angenommene« Kinder, erwählt obwohl unwürdig. Mit diesem Wort unterstreicht der Apostel noch mehr die unentgeltliche Liebe des Vaters!

Jesus läßt uns diese Unterscheidung nicht nur erahnen, sondern er betont sie ausdrücklich, wenn er durch den Mund von Maria von Magdala „seinen Brüdern« die Botschaft übermittelt: „Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.« [Joh 20,17]

Der Vater ist Vater von allen, aber unterschiedlich für Jesus und für uns.

Die Jünger, die beten, sagen aber „Vater unser«, Vati „von uns«.

Der Christ, der den Glauben an Jesus erlangt hat, findet sich nicht allein: er befindet sich sofort mitten in einer Familie. Sohn Gottes in Jesus zu werden und sich neben Brüdern vorzufinden, ist ein einziger Akt, eine einzige Erfahrung. Der Christ, der die Gabe der Sohnschaft bekommen hat, hat zur gleichen Zeit die Gabe der Brüderlichkeit empfangen. Sohn Gottes werden, läßt uns gleichzeitig Brüder werden mit denen, die schon in Jesus sind.

Als der heilige Paulus angefangen hat, an Jesus zu glauben und ihn als Sohn Gottes anzunehmen, hat er entdeckt, Bruder vieler zu sein, gerade jener, die vor ihm Angst hatten. Sie waren es, die ihn zum neuen Leben geführt haben, zum Leben als Kind Gottes. [Apg 9,19]

Wenn der Christ sich an den Vater wendet, kann er es nur als Teil des Leibes Christi tun. Auch wenn er sagen würde „mein Vater«, würde er es sagen als Ausdruck für den Leib, an dem er teil hat. Es gibt kein isoliertes „Kind Gottes«. Wenn einer Kind Gottes ist, so ist er es, weil er dem Leib Christi angehört; er ist Rebzweig einer einzigen Rebe, Bruder der einzigen Familie, die von Jesus gegründet wurde. Um Kind Gottes zu sein, brauche ich die anderen Kinder Gottes. Wenn ich nicht mit dem Leib Christi vereint bin, bin ich nicht mehr Kind Gottes. Er selbst, der Vater, ist der Winzer, der die Zweige abschneidet, die keinen Saft von der Rebe mehr bekommen. [Joh 15,1] Sogar die Charismen, die ich als Kind Gottes empfange, brauchen die anderen Kinder Gottes, denn sie müssen ausgeübt werden, um die Einheit des geistlichen Baues, der Kirche, zu bauen, andernfalls entarten sie.

Vater unser!

Unser Vati, die wir an Jesus glauben, die wir deine Kirche bilden, den sichtbaren Leib deines eingeborenen Sohnes!

 

2. B

Vater „von uns«, die wir Jünger deines Sohnes sind, die wir einen einzigen Leib seit unserer Taufe bilden, die wir in ihm wiedergeboren sind!

Von dir kommt das Leben, das wir in Jesus empfangen!

Wir stellen uns dir in Einheit vor, als einen einzigen Leib, als eine einzige Familie, eins mit Jesus. Wir sind in deinem Sohn vereint, wir sind deine Kirche. Uns verbindet die Kraft deines Geistes, des Geistes deines Sohnes Jesus, der uns gehorsam macht, einander unterstellt. Uns verbindet die Liebe zu deinem Eingeborenen;

Er selber verbindet uns, indem Er uns mit sich verbindet!

Vater unser!

Dieses zweite Wort des Gebetes, „unser«, macht uns die Kostbarkeit, die Schönheit und die Notwendigkeit der Kirche bewußt. In der Kirche können wir die Einheit leben und so die Vaterschaft Gottes erleben.

In der Trennung würden wir „die Vaterschaft« des Teilers, des Teufels, erleben, mit den schmerzhaften Folgen von Leid und Unterdrückung. Aus seiner Herrschaft sind wir durch Jesus befreit worden, der uns in sein Reich überstellt hat, um einen einzigen Leib zu bilden. Indem Jesus den Tod aus den Händen des Vaters angenommen hat, hat er den Bösen besiegt, der aus dem Tod die letzte und definitive Gelegenheit der Rebellion des Menschen gegen Gott machen wollte. Jesus hat hingegen daraus die definitive Selbsthingabe gemacht, der größte und reinste Liebesakt! Jetzt sind wir mit ihm ein einziger, dem Vater dargebotener, Leib.

Seien wir froh, „Kirche« zu sein! Ich bin stolz, ein Teil davon zu sein, zusammen mit denen, die Jesus als Herrn haben.

Im Wort „unser« steckt dieses Bewußtsein und diese Freude!

Vater „von uns«; von uns, die wir ein geistlicher Bau sind, der Bau, in dem du die Menschen um deinen Sohn versammelst, um sie zu lieben!

Vater von uns, die wir die Offenbarung deiner konkreten Liebe sind, denn in der Einheit zeigen wir der Welt deine Absicht, alle mit dem Band des Friedens zu verbinden.

„Vater unser!«

Alle zusammen betrachten wir den Vater, alle vereint lieben wir ihn. Meine Augen genügen nicht, um ihn zu schauen, ich bewundere ihn mit den Augen der Geschwister, der anderen Freunde Jesu. Mein Herz genügt nicht, um ihn zu lieben, ich liebe ihn auch mit dem Herzen aller anderen Christen! Mein Gebet genügt nicht, ich bete ihn an und preise ihn mit der Stimme der ganzen Kirche!

Vater unser!

Ich bin gar nicht imstande, zu beten: ich muß ständig lernen: „Lehre uns beten!« Lehre uns beten als dein Leib, deine Kirche.

Wir „wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen: der Geist selbst tritt jedoch für die Gläubigen ein, wie Gott es will.« [Röm 8,26-27]

Wir Christen sind diejenigen, die nicht beten können! Wir müssen es ständig lernen. Lernen wir vom Geist, den Jesus uns mitteilt! Und der Geist gibt uns keine Formeln, Worte oder Riten ein, sondern er stellt uns in die Haltung als Kinder, als Geschwister, die sich an der Hand halten und einander helfen, den Blick mit Vertrauen, Liebe und Hingabe aufzurichten.

Vater unser!

Das Herz füllt sich mit unaussprechlichem Seufzen, mit Gefühlen, die sich nicht in Worte fassen lassen. Freude, Gemeinschaft, gegenseitiges Vertrauen, Herzensöffnung, Feier: alles ist enthalten in der großen Anrufung, welche die verschiedenen Stimmen des Leibes Christi erheben: „Vater unser!«

 

2. C

Bis vor einiger Zeit war ich gewohnt, dieses Wort „unser« zu beten, indem ich mir die grenzenlose und undeutliche Menge aller Bewohner der Erde vorstellte. Ich dachte: „Gott ist Vater aller in gleicher Weise!« Ich sah Christen und Buddhisten, Atheisten und Moslems, Hinduisten und Agnostiker, Satanisten und Unabhängige alle als Kinder Gottes. Ich hätte jenen hart kritisiert, der sich getraut hätte zu sagen, daß jenes „Unser« sich nur auf die getauften Christen bezieht! Ich hätte geantwortet: „Aber dann sind wir im Gebet Egoisten, wir denken nur an uns selbst!«

Jetzt glaube ich hingegen zu verstehen, daß bei unserem Gebet klar sein muß, wie die Dinge stehen. Der Vater ist der Vater Jesu! Er ist der Vater desjenigen, welcher ganz eins mit Jesus ist! Er will für jenen Vater sein, der noch nicht „Kind« ist, für jenen, der ihm noch nicht mit dieser lebendigen Abhängigkeit gehört.

Er will ihnen Vater sein. Er behandelt sie mit der Liebe eines Vaters, aber sie können ihn noch nicht in Wahrheit Vater nennen, noch wollen sie es eigentlich nicht! Es ist nur der voll im Herzen angenommene Jesus, der den freudigen und vertrauensvollen Ruf entstehen läßt: „Abba!«, „Papi!«

Das „Unser« bezieht sich auf uns als „Kirche«. Es ist keine unfruchtbare persönliche Vertrautheit, im Gegenteil! Die „Kirche« ist Werk Gottes in der Welt. Ein Werk Gottes kann nie unnütz sein!

Gott hat um seinen Sohn und im Sohn die Gemeinschaft der Gläubigen als sein Geschenk an die Welt versammelt, sein Geschenk an die Menschen der ganzen Welt und für alle Zeiten. Wir sind Kirche für die Welt, wir sind der konkrete Ausdruck der Liebe des Vaters zu allen Menschen. Für die Welt und in der Welt müssen wir daher „Kirche« sein! Damit die Liebe des Vaters alle Menschen erreichen kann, „müssen« wir Kirche sein, die Identität behalten und die Trennung (wenn man das so sagen kann) der Kirche als Gemeinschaft von Personen, die sich von anderen unterscheiden.

Siehst du Ehrgeiz und Stolz darin? Die Gefahr kann bestehen.

Aber wenn du das Zusammensein in der Kirche als Gehorsam Gott gegenüber betrachtest und als Bereitschaft, die Mission zu vollenden, die uns anvertraut ist, gibt es weder Ehrgeiz noch Stolz. Wir als Kirche würden keine echten Missionare Jesu sein, und wir würden keine für die Welt geeigneten Missionare sein, wenn wir nicht ganz und radikal die Einheit, die uns geschenkt wird, leben würden.

Dieser bestehenden Einheit – die uns von den anderen, die Jesus als ihren Herrn nicht annehmen, unterscheidet – müssen wir uns voll bewußt sein! Wie sollen wir sie sonst leben? Wenn unsere Einheit und Identität als Kirche nicht offenkundig wäre, so wie sie in den Augen des Vaters offenkundig ist, wären wir nicht Zeugen Jesu! Unsere eigene Einheit in Jesus ist schon Heil und Zeugnis davon, daß Er es ist, der den Menschen vor seinem Egoismus rettet – den schrecklichen Feind, der trennt.

Wir dürfen uns also dem Vater als Einheit, als Kirche, als klare und besondere Realität zeigen! Er kann nicht anders, als sich darüber freuen, da Er sieht, daß sein Plan in Erfüllung geht. Unsere Einheit ist Erfüllung des „Planes« Gottes: seine „Kinder« sind endlich Geschwister. Unsere Einheit in Jesus ist Zeugnis der Liebe des Vaters, der den Sohn gesandt hat, um seinen Geist den getrennten Herzen der Menschen mitzuteilen. Unsere Einheit ist trinitarisches Leben, göttliches Leben, „fast« eingefleischt in die menschlichen Beziehungen.

Die Einheit, die wir als Kirche leben, ist die Freude Gottes!

Vater unser!

Vater von uns, wir sind deine Genugtuung, dein Wohlgefallen!

 

2. D

Die Einheit der Christen ist das Geschenk, das der Vater der Welt fortwährend anbietet. Wenn wir unter uns einig sind, weil Jesus unser Herr ist, dann sind wir selber die Verwirklichung der Liebe Gottes zu allen Menschen.

„Sie sollen eins sein, damit die Welt glaubt.« [Joh 17,21.23]

Jesus hat den Vater darum gebeten, als größtes Geschenk für die „Welt«!

Wieso hat Jesus nicht den Frieden für die Welt von seinem Vater erbeten? Wieso hat er nicht Wohlstand und Fortschritt erbeten? Wieso hat er nicht die Dialogfähigkeit zwischen verschiedenen Kulturen erbeten?

Wieso hat er nicht die Ehrlichkeit der Regierenden oder die Freiheit der Selbstbestimmung für die Völker erbeten? Warum?

Jesus hat nur die Einheit seiner Jünger erbeten, eine Einheit bestehend aus Vertrauen und Gehorsam, wie die Einheit zwischen Vater und Sohn und zwischen Sohn und Vater. Von Jesus wird das Leben in Einheit unter Christen nicht verstanden als Werkzeug, um in der Welt die Befreiung von Ungerechtigkeit, Hunger und Krieg zu verwirklichen, sondern es wird im Hinblick auf den Glauben an Ihn gesehen: „Damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast.«

Es ist der Glauben an Jesus, der den Menschen bis ins Innerste verwandelt und ihn von seinen Übeln befreit und rettet. Es ist der Glaube an Jesus, der den Menschen gemeinschaftsfähig macht. Das wahre Leben des Menschen ist der Glauben an Jesus.

Wir Christen werden die Retter der Welt, wenn wir die Einheit im Glauben an Jesus leben. Unsere Einheit ist das Geschenk Gottes an die heutigen Menschen, denn es ist diese Wirklichkeit, die es den Menschen jeder Kultur und Religion erlaubt, die lebendige Gegenwart Jesu, des Erlösers, zu erkennen und sein demütiges Erlösungs- und Befreiungswerk anzunehmen. Es ist sein Geschenk, welches das Angesicht der Erde erneuert: der Heilige Geist!

Deswegen bin ich in demütiger Weise stolz, ein Glied der Kirche zu sein. Ich habe kein Verdienst dafür, im Gegenteil, ich bin immer von meinem Egoismus beeinflußt, die Einheit zu zerstören, zu trüben und zu schwächen. Die Barmherzigkeit des Vaters ist aber so groß, daß er – indem er verzeiht – die Einheit unter den Christen wieder herstellt und stärkt.

Das Adjektiv „unser«, mit dem wir uns an den Vater wenden, gibt ihm wirklich die Ehre!

Dieses Wort hebt auch seine Barmherzigkeit hervor, die gleich ist für uns und für die Welt. Seine Barmherzigkeit, die ständig unsere Einheit wiederherstellt, ist gleichzeitig Barmherzigkeit für die Welt, die so zum Glauben an Jesus, seinen Gesandten, gelangen kann.

Unsere Einheit ist wirklich kostbar in den Augen des Vaters!

Wir Christen sind „wichtig«, wenn wir „eins« sind, denn so verwirklichen wir seinen Plan. Wir sind versucht, zu glauben, daß unsere Liebe für die Armen wichtig sei, unsere Aufmerksamkeit für die „Letzten«, unsere Reden über die Gerechtigkeit, unser Anklagen und Veröffentlichen von Unterdrückung, unser Proklamieren der Rechte der verschiedenen Gruppen von Personen, die wir nach Alter oder Beschäftigung trennen; für den Vater hingegen ist unsere Einheit wichtig. Jesus bittet nur um dieses „Wunder«, „einer« von den Seinen zu sein!

Als „die Gemeinde der Gläubigen ein Herz und eine Seele war« [Apg 4,32], gab es weder Ungerechtigkeit noch Unterdrückung, weder Ersten noch Letzten. Es gab nur den Heiligen Geist, der alle erleuchtete und auch die Außenstehenden mit unwiderstehlicher Kraft zu Jesus und seiner Kirche zog, um sich retten zu lassen und gemeinsam sagen zu können:

Vater unser!

 

2. E

Das Wort „unser« ist das missionarische Wort des Gebetes Jesu! Wenn wir dieses Wort empfinden als Einheit der Kirche in Jesus für den Vater, dann öffnet es uns, anstatt uns zu verschließen. Wenn wir es als Ausdruck der anonymen Menschenmenge der ganzen Welt verstehen, dann läßt es uns unbeteiligt und gleichgültig.

Wir sind die Glieder des Leibes deines Sohnes, jenes Sohnes, den du gesandt hast, um die Welt zu retten vor dem Verfall und vor der Macht des Teilers. Er hält die Welt schon weit entfernt von dir und im Widerspruch mit ihren eigenen besten Vorsätzen!

Wir sind das Geschenk des Vaters an die Welt. Wir sind der Ort, wo sich die Erlösungswilligen versammeln und darin Gemeinschaft und Lebensraum finden können; wo die Vereinten Harmonie in sich selber finden können. Wir sind der Ort, wo Jesus gegenwärtig und wirksam ist: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen.« [Mt 18,20]

Der Vater ist der Vater unserer Einheit und in ihr findet er seine Ehre! Seine Vaterschaft offenbart sich besonders in unserer Einheit! Wir sind der Ort, wo der Sohn Jesus seine Mission fortsetzt. Die Kirche, die vereint und bewußt ihre Einheit lebt, ist de facto missionarisch, und sie ist es nicht durch ihr Wirken, sondern einfach weil sie einig ist.

Die Wirklichkeit der Einheit, die uns veranlaßt, uns an den Vater zu wenden mit dem Wort „unser«, ist so kostbar, daß sie uns zum Martyrium bereit finden muß.

Die Bereitschaft und der Wille, die Einheit der Kirche nicht zu zerstören, kann uns fähig machen, Ungerechtigkeiten, Unverständnis und Unrecht zu ertragen. Sie kann uns sogar dazu befähigen, darauf zu verzichten, unsere schönsten Ideale realisiert zu sehen, auch jene einer besseren Kirche.

Es ist nicht selten, Heilige zu finden, die diese Lektion erteilt haben. Sie haben ihre Ideale einer perfekten Kirche geopfert, um ja nicht deren Einheit zu zerstören!

Mir fällt Antonio Rosmini ein, aber es gibt noch viele andere in der Vergangenheit und in der Gegenwart.

Der Christ, der „Vater unser« sagt, findet vielleicht keine Heiden, die ihn beleidigen und töten, aber er kann andere Christen finden, die ihn betrügen, berauben, ihm Unrecht tun und seinen guten Namen ruinieren. Er kann sogar bedeutende Kirchenmänner finden, die ihn demütigen, diskreditieren und ihm Ungerechtigkeiten zufügen.

Da ist sein Martyrium, die Gelegenheit, Zeugnis für Jesus zu geben. Er zerstört die Einheit nicht, denn die geeinte Kirche ist wichtiger als die „perfekte« Kirche.

Die geeinte Kirche ist Geschenk des Vaters, die getrennte Kirche ist Werkzeug des Bösen.

Die geeinte Kirche kann eine Wirklichkeit auf Erden sein, die perfekte Kirche gibt es nur im Himmel. Wenn ich „unser« zum Vater sage, wecke ich in mir das Bewußtsein meiner Zugehörigkeit zur Kirche und das Bewußtsein für deren Aufgabe, die Gott selbst ihr in der Welt anvertraut.

Dieses eine Wort hält den missionarischen Geist des einzelnen Gläubigen wach, der in der Welt lebt als Kind Gottes, um ihr seine Liebe zu bringen und besonders jene vollkommene Liebe, die im Namen Jesu enthalten ist. Dieses eine Wort gibt mir die ständige Motivation für die Suche nach Einheit mit den anderen Christen, um so die Hürden, die von meinen und ihren Fehlern und Sünden aufgerichtet sind, zu überwinden.

Vater unser!

Du siehst uns fest mit deinem Sohn verbunden und daher auch untereinander. Du siehst uns so, und deswegen vertraust du darauf, daß unser Sein in der Welt Frucht bringt: ein ständiges Strahlen des Lichtes und der Ehre Desjenigen, den du gesandt hast, als du deine Liebe für die Welt geoffenbart hast.

 

2. F

Vater unser!

Dies ist die Anrufung der Kinder, die Gott anschauen und ihn nicht fern, kalt, anonym sehen. Es ist eine Anrufung, welche auf die schon empfangene und vollkommen erlebte Liebe antwortet. Es ist ein Wort, das ein familiäres Klima schafft: eine einzige Familie von Gott und den Menschen, von Ihm und von uns gebildet. Es entsteht ein inniges, verbundenes, tiefes und wahres Klima.

Das Zentrum in diesem familiären Klima bleibt Er, Gott, der Vater!

Im Menschen besteht die starke Tendenz, die momentanen Probleme in die Mitte des Lebens und deswegen auch seines Gebetes zu stellen.

Hier hingegen ist immer „der Vati« das Zentrum! Die Augen bleiben auf ihn gerichtet, um ihn zu betrachten, um die Bewegungen seiner Hände und Augen zu erkennen, um aus den feinen und milden Winken die Zeichen seiner versteckten Wünsche zu erahnen. Wer von Jesus zum Beten angeleitet ist, behält den Vater in der Mitte seiner Aufmerksamkeit.

Manchmal kann ich in meinem Gebet versucht sein, an die Welt mit ihren brennenden und realen Problemen zu denken.

Manchmal kann ich sogar versucht sein, in meinem Gedächtnis Bilder und Nachrichten zu suchen, um damit die Gebetszeit zu füllen, etwas zwischen mir und den Vater zu schieben. Ich stelle eine Hürde zwischen ihn und mir, und er kann mich nicht erleuchten, nicht in mir seinen Geist, sein Leben ausschütten. Er wünscht, mich Jesus, seinem Sohn, ähnlich zu machen, und sich meiner zu bedienen, um der Welt Licht zu bringen.

Der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ist der Vater, nicht nur der meinen, sondern der unseren, ja der Aufmerksamkeit der ganzen Kirche! Wenn es nicht so wäre, würde sie keine neue Botschaft jener Welt bringen, um welche sie sich kümmert; sie würde Salz ohne Geschmack sein, sie würde nicht mehr sie selbst sein!

Wir sind Kinder - schauen wir immer auf hin! Wenn Er uns so vorfindet – entschlossen orientiert auf sein Angesicht und sein Herz – kann er uns „auf seine Weise« für jene Welt gebrauchen, die Er „so sehr geliebt hat«!

Gott konnte sich des Josef zum Wohle seiner Brüder bedienen, die ihn verkauft hatten, und zum Wohle des ganzen ägyptischen Volkes, das ihn sowohl geehrt als auch verfolgt hatte. Das hat Josef machen können, einfach weil er sich immer an Ihm orientiert hat. Auf gleiche Weise sind all diejenigen, welche ihr Herz in Gott bewahrt haben, ein Segen für das ganze Volk geworden.

Diejenigen, welche die Probleme der Welt in die Mitte ihres Herzens stellen wollten, haben sich verloren.

Jesus selbst hat nicht die Herrschaft der Königreiche dieser Welt in die Mitte stellen wollen, sondern die Unterwerfung gegenüber dem Vater; nur auf diese Weise hat er den Feind der Welt besiegt. [Mt 4,8-11]

Nicht wir sind es, die der Welt das Leben geben. Der Vater ist es, aus dem das Leben hervorquillt!

Wenn wir der Welt nützlich sein wollen, müssen wir dem Vater zugewandt bleiben, ganz eng mit seinem Sohn verbunden, wie eine Familie, die keine Trennung unter ihren Mitgliedern duldet; man ist eher bereit, auf die Erbschaft zu verzichten, als auf die Eintracht untereinander.

Wir schauen auf dich, Vater, und du schaust auf uns.

Unsere Augen begegnen deiner Liebe und wir bleiben davon gefesselt. Du siehst uns, wie du deinen einzigen Sohn siehst, den Geliebten und Bevorzugten, und den du daher gesandt hast, um die Sünden der Welt auf sich zu nehmen.

Wir betrachten dich als „Die Liebe«, die uns Freude bereitet, zu leben, da zu sein und bereit, die ganze Welt zu dir zu bringen, damit diese wie wir von deinem unvergänglichen Licht umgeben sei.

 

 

3. DER DU BIST IM HIMMEL

3. A

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.« [Gen 1,1]

Er hat an unsere und an seine Wohnung gedacht. Es sind unterschiedliche Wohnungen, aber nicht notwendigerweise voneinander entfernt.

Der Himmel ist anders als die Erde. Diese ist dadurch gekennzeichnet, daß wir sie kennen, sie beobachten, von ihr Gebrauch machen, sie verschönern, sie mögen, sie bewohnen, sie ruinieren.

Den Himmel hingegen kennen wir nicht: er ist außerhalb unserer Hände. Er ist ein Teil der Schöpfung Gottes. Er hat ihn zugleich mit der Erde gewollt. Auch er ist ein „Werk deiner Hände.« [Ps 8]

Objekt der zartesten Sorgfalt des Vaters. Sei es der Himmel, der vergeht, sei es der kommen wird, beide sind Werk Gottes. [Offb 21,1; 2 Pt. 3,3] Sie sind Zeugen der Herrlichkeit Gottes zusammen mit den anderen Wundern, und sie verkünden sie den Menschen. [Ps 19]

Gott hat vieles unseren Augen verborgen, aber er sieht, was wir nicht sehen.

Himmel und Erde sind zwei Realitäten, die sich gegenüberstehen und sich ergänzen.

Die Erde ist die Wohnstatt für die Menschen, der Himmel ist die Wohnung Gottes: dort ist Er verborgen. Im Himmel öffnet er die Fenster und blickt herab auf die Menschen, um jene zu suchen, die ihn lieben. [Ps 53,3]

Wie der Himmel außerhalb unserer Reichweite ist und unsere Fähigkeit zu schauen und zu verstehen übersteigt, wird er von uns gesehen als Symbol der Unerreichbarkeit und Heiligkeit Gottes, unseres Vaters. Wir sehen ihn nicht, während er uns immer sieht!

Warum versteckt sich unser Vater? Will er nicht erreicht werden? Und doch erreicht er uns jeden Augenblick mit seiner Liebe! Wir suchen ihn, weil wir ihn „sehen« möchten, daher verbirgt er sich, und so verbirgt er auch seine Liebe!

Mit dem Propheten Jesaja bitten wir Gott, den Himmel aufzureißen und herabzukommen. [Jes 63,19] Der Himmel ist für ihn kein Problem, für uns aber ist er wie eine Barriere, die uns hindert, ihn zu „sehen«, seine Gegenwart zu erkennen und uns an seiner Liebe zu freuen. Wir sind immer vom Werk unseres Feindes eingeschüchtert, der die Erde und die brüderliche Beziehung zwischen den Menschen und Völkern zerstört. Die Anwesenheit dieses Feindes hindert uns daran, uns an der Erde als Werk des Vaters zu freuen und sie zum Lieben zu gebrauchen. Wir sind nicht zufrieden mit ihr, gerade weil in ihr Gefahren und Fallen versteckt sein können.

Wir bitten und wünschen, daß der Himmel aufgerissen wird, damit Gott die Erde zu seiner Wohnung macht, zu seinem „Himmel«, wo der Feind den zerstörerischen Fuß nicht hinsetzen kann. Unser Gebet wird erhört.

Der Vater hört den Schrei seines Volkes und öffnet den Himmel. Er öffnet ihn aber nicht zufällig.

Der Himmel öffnet sich über Jesus, während er die Sünden der Welt auf sich nimmt. Jesus steigt beladen mit den Sünden der Menschen aus dem Wasser des Jordans, und der Himmel öffnet sich. Der Vater hält es nicht mehr aus, Er kann nicht mehr fern, unbekannt, den Menschen verborgen bleiben. Die Sünde ist von ihren Schultern genommen und wird auf die unschuldigen Schultern Jesu geladen; die Sünde ist von der Liebe des Sohnes aufgefangen; dies ist der Augenblick, in dem der Vater den Himmel öffnet, jetzt können die Menschen seine Liebe sehen, seine Vaterliebe. Aus diesem Himmel kommt die Stimme, steigt der Geist herab. Der Himmel bleibt noch geheimnisvoll, aber er schüttet seine Schätze auf die Erde: die liebevolle Stimme des Vaters und seinen Geist, der die Erde erfüllen wird und der die Liebe Gottes vergegenwärtigen wird.

Es ist etwas Neues, das sich jedesmal wiederholt, wenn ein Kind Gottes, anstatt zu sagen „du bist schuldig«, sagt „ich bin schuldig.« Es nimmt so am Werk des Sohnes teil, der die Sünde der Welt hinweg nimmt. Auch dann öffnet sich der Himmel und läßt die reinste Liebe, die göttliche Liebe, erkennen!

 

3. B

Der Himmel ist über Jesus geöffnet worden. Die Erde leidet nicht mehr an der Verzweiflung des Verlassenseins, sie ist nicht mehr sich selbst überlassen, sie ist nicht mehr unter der Herrschaft der Sünde. Die Erde beherbergt das neue Licht, eine neue Luft, eine neue Hoffnung. Der Himmel hat die vergebende Liebe ausgeströmt, vom Himmel ist jene Liebe gekommen, die inexistent und unmöglich erschien. Vom Himmel strömt jetzt ständig Neues. Er bleibt immer Himmel, immer undurchdringlich für den Verstand des Menschen; aber von ihm kommt die Fülle ins Herz des Menschen und der Friede in zwischenmenschliche Beziehungen.

Jetzt ist dieser Himmel unser Himmel. Er bleibt immer offen, dort wo er sich damals geöffnet hat. Er bleibt offen über dem Menschensohn, über Jesus. Seine Jünger können die Engel auf- und absteigen sehen; die Boten Gottes überbringen dem Vater, was auf Erden geschieht, und sie bringen der Erde die ständige Nachricht von der treuen Liebe des Vaters!

Der Himmel ist über Jesus geöffnet. [Joh 1,51] Er ist die Leiter, die ihn mit der Erde verbindet, und die Jünger sind seine Zeugen.

Es gibt und es wird immer Menschen geben, die schreien: „Reiß den Himmel auf und steig hernieder!«, aber sie werden aufhören zu schreien, glücklich und zufrieden, wenn sie auf die Jünger Jesu hören werden und wenn sie über Ihm den geöffneten Himmel sehen werden. Auch der finsterste Himmel läßt ein strahlendes Licht hervortreten und Worte, die niemand imstande ist, zu wiederholen.

In jenem Himmel wohnt jetzt Jesus selbst, der Herr. Als Hoherpriester fährt er fort, das Opfer mit seinem Blut für uns darzubringen. [Heb 9,11-24] So wird uns der Himmel vertraut, auch wenn er sein Geheimnis behält. Er widerhallt von Lobgesängen, Hymnen, Liedern und Liebesschreien von Unmengen von Zeugen der Liebe des Vaters. [Heb 12,1; Offb 7,9] Wir wünschen uns, darin zu wohnen, und er ist uns schon verheißen. Auch wir werden darin „sitzen« [Ef 1,20] wie in unserem Haus. Es ist die Wohnung „unseres Vaters«!

Und auch wir als Kinder, die das Vertrauen ihres Vaters genießen, können von unserem „königlichen Thron« die vergebende Liebe auf die Erde voller Schatten fließen lassen. Auch wir öffnen manchen dunklen Himmel im Herzen und im ungläubigen Blick eines Menschen, der glaubt, uns beleidigt zu haben und keinen Frieden mehr finden zu können, wenn wir ihm die Vergebung schenken.

Der Himmel ist offen, aber nur über Jesus!

Wenn wir Jesus aus unserer Sicht verlieren, befinden wir uns unter einem geschlossenen Himmel, dann hören und spüren wir die Liebe des Vaters nicht mehr. Um uns über die Öffnung des Himmels zu freuen, müssen wir immer auf Jesus schauen, den Blick fest auf ihn richten, der die Sünde der Welt trägt, der das Kreuz auf sich nimmt und den Kalvarienberg hinaufsteigt.

Der Himmel ist jene Dimension der Schöpfung, die unserer Kontrolle und unserem Verstehen entflieht. Dort bleibt die Liebe des Vaters verborgen. Wie viele Dinge und wie viele Ereignisse sind für uns geheimnisvoll, ohne Erklärung!

Wie viele Dinge und Geschehnisse bilden ein Ganzes mit unserem Leben und mit unserer Umgebung; wir verstehen sie nicht, im Gegenteil, wir halten sie für Unglücke, wie dunkle Zimmer voller Schatten, unerträglich, und wir rebellieren. Wir sind nicht imstande, darin etwas zu finden, das uns gehört, wir sehen keine Liebe darin.

Die Vaterschaft Gottes bleibt verborgen hinter folgenden Tatsachen: Krankheiten, Unfälle, Todesfälle, Ungerechtigkeiten, Übergriffe, Gewalttaten... Diese Tatsachen sind wie ein undurchdringlicher Himmel; wir kontrollieren sie nicht, noch verstehen wir sie.

Diese Tatsachen sind ein Himmel, der das Gesicht Gottes verschleiert und zudeckt.

Kann er dort verborgen sein?

Kann darin seine Liebe sein?

Wie viele „Himmel« bleiben geschlossen und behalten ihr Geheimnis!

Aber wenn ich auf Jesus schaue, der aus dem Jordan steigt mit den Sünden der Welt auf den eigenen Schultern, und wenn ich ihn betrachte, während er sich opfert und ans Kreuz steigt, dann öffnet sich der Himmel, der mich umgibt, und ich fange wieder an, einen Vater zu sehen, der mich liebt, der uns liebt.

 

3. C

Der Vater im Himmel ist und bleibt „Vati«, obwohl er in Orten wohnt, die für uns unbekannt und neu sind. Und er bleibt „unser« Vater. Er erreicht mich mit seiner Liebe durch die Geschwister, und er erreicht die Geschwister auch durch mich. Das, was für mich unbegreiflicher „Himmel« ist, kann offener Himmel für einen Bruder werden und umgekehrt. Es ist unser Vater, und wir betrachten ihn gemeinsam; wir helfen uns, seine Liebe zu sehen, auch dort, wo er sie verbirgt.

Ich erinnere mich in irgendeinem Buch eine Episode gelesen zu haben, die sich in einem von den vielen Konzentrationslagern des Zweiten Weltkriegs ereignet hat. Eine Gruppe von Frauen ist zur Gaskammer verurteilt. Eine von ihnen weint verzweifelt und schreit. Schwester Maria, eine orthodoxe Nonne, nähert sich ihr und versucht, sie mit schönen Worten zu überzeugen, daß nach dem Tode der Vater auf uns wartet, daß der Tod der Übergang zum neuen Leben ist.

Aber jene Frau schreit aus Verzweiflung noch lauter. Dann sagt Schwester Maria zu ihr: „Glaubst du es nicht? Dann schau, auch ich gehe mit dir in die Gaskammer.« Jene Frau hört auf zu schreien, und das Weinen der ganzen Gruppe verwandelt sich in einen wunderbaren Gesang.

Schwester Maria hat dieser Frauengruppe geholfen, die Liebe des Vaters sogar im Tod zu sehen, einem Ort, wo die Liebe am meisten verborgen ist. Es gibt nichts im Leben, das nicht die Liebe Gottes in sich trägt. Der heilige Paulus hat es betont, als er schrieb: „Alles gereicht denen zum Besten, die Gott lieben.« [Röm 8,28] Gott erlöst sogar die Sünde, damit sie Werkzeug des Heiles wird. In der österlichen Liturgie singt die Kirche von der „felix culpa«, und meint damit, daß die Schuld Adams uns erlaubt, uns am Angesicht des so barmherzigen und milden Vaters zu ergötzen und es zu entdecken. Wenn die Sünde nicht gewesen wäre, wüßten wir nicht, wie groß und gut unser Gott ist!

Unser Vater ist im Himmel!

Er verbirgt seine Liebe, damit wir sie überall finden können; so kann er uns überraschend lieben, und er kann uns lieben, ohne daß wir es bemerken!

Er ist ihm Himmel; er bleibt unbefangen von dem, was auf Erden geschieht. Er ist deswegen nicht gezwungen, auf unsere guten oder schlechten Taten zu reagieren; er kann sie alle ertragen, er kann fortfahren, uns zu lieben nach unseren positiven Antworten und auch nach den negativen.

Jesus sagt, daß der Vater die Sonne aufgehen läßt über Guten und Bösen. Er kann das machen, weil er im Himmel ist, und er erschrickt nicht, noch ist er überrascht über unser Unverständnis oder über das Urteil, das wir uns über sein Tun bilden. Er steht über allem und er weiß, daß unsere Augen betrübt und betrogen werden von dem, was auf der Erde glänzt.

Im Himmel kann der Vater über unsere Besserung mit dem Schweigen oder mit dem Eingreifen entscheiden; und wir verstehen weder das eine noch das andere.

Jedes Wirken Gottes ist geheimnisvoll, verständlich nur solange, bis in unseren Augen der Glanz des Kreuzes Jesu lebendig bleibt.

Sogar unsere „Sendung« innerhalb seines Planes wird im Himmel beschlossen und erfüllt. Erst nach einem langen, stillen, durchlittenen Lieben merken wir, worin die für uns vom Vater erdachte Sendung besteht. Nämlich nicht in den Taten, welche die Aufmerksamkeit oder die Dankbarkeit der Menschen erwerben, sondern in der Liebe zu Jesus, die wir in die Taten gemischt, versteckt und zerrieben haben!

Die Liebe Gottes besteht nicht im Verstehen seines Wirkens, denn es ist immer eine Liebe, die vom Himmel kommt. Eine Liebe, die größer, reiner, blitzender ist als jene, welche wir meinen, verstanden zu haben. Wir werden von einer höheren Liebe umgeben und mitgerissen. Uns bleibt nichts anderes, als uns ihr hinzugeben und mit immer größerer Entschiedenheit zu sagen:

„Vater unser, der du bist im Himmel!«

 

3. D

„Vater unser, der du bist im Himmel.«

Daß er im Himmel ist, zeigt ihn uns noch mehr als „Vati«.

Wir möchten ihn manchmal als Herrn haben; in manchen Situationen wäre das bequemer ... aber er – gerade weil er die Liebe verbergen kann – bleibt immer Vater. Er erträgt eher fehlende Verantwortung, als uns die Liebe zu entziehen.

Manchmal möchten wir ihn als „Diener« haben, der uns gehorcht, der unsere Schmeicheleien berücksichtigt oder unsere unbeholfenen Versuche, ihn zu betrügen. Indem er sich verborgen hält, kann er sich leicht diesen Lügen entziehen.

Er bleibt größer in der Liebe: verborgen ja, aber überall gegenwärtig, wie der blaue Himmel überall ist und alle Wolken zudeckt. Er bleibt in dem offenen Himmel, offen, nicht „zerstört«. Dort müssen wir ihn suchen.

Er zeigt uns seine Liebe durch die greifbare Wirklichkeit, wir aber suchen ihn außerhalb von ihr.

Er schenkt uns die Freude durch seine Geschöpfe und seinen Trost auf verschiedene, angenehme Weise. Aber wir suchen seine Liebe auch in dem, was uns leiden macht, in jenen persönlichen oder sozialen Ereignissen, die generell „Unglück« genannt werden!

Wenn wir also „Vater unser, der du bist im Himmel« sagen, dann verschwindet jedes Jammern und Murren aus unserem Herzen. Das Leiden verschwindet nicht, aber wir lehnen es nicht ab, denn wir wissen, daß darin die Liebe des Vaters verhüllt ist, wie in einem Himmel. Eher opfern wir das Leiden auf und suchen Licht, um jenes Angesicht zu sehen, das uns liebt, das uns als Kinder behandelt, wie seinen Sohn.

„Im Himmel!«

Dort ist auch Jesus eingetreten; auch er ist dort verborgen! Und für den Himmel sind auch wir bestimmt: „Unsere Heimat ist Himmel.« [Eph 1,20; Phil 3,20] Auch wir werden dort leben, außerhalb des Sichtbaren, des Tastbaren, des Verständlichen, des Greifbaren.

Wenn wir die ständige Liebe des Vaters annehmen und uns mit Jesus verbinden, werden auch wir unverständlich und ungreifbar. Uns bewegt nicht mehr Schmeichelei, weder Kritik noch Beleidigung. Uns beeinflussen weder Geschenke noch Entbehrungen. Andere werden zu uns sagen: „Du hast den Kopf in den Wolken«, oder „Du hast die Füße nicht auf dem Boden«, oder „Du liebst niemanden mehr!« Wir werden sagen: „Wir sitzen im Himmel«, oder „Wir sind daheim.« Aber wenn jemand, dem wir nun unverständlich erscheinen, voll Liebe auf Jesus schauen wird, dann wird er anfangen, die Liebe in unserem Leben zu sehen. Der Himmel ist offen nur über Jesus!

Da wir für den Himmel bestimmt sind und dort das beste Leben leben können, können wir sofort anfangen, „das, was an uns irdisch ist, zu töten.« [Kol 3,5] Das können mir machen, indem wir „gleichgültig« bleiben gebenüber den Dingen und Ereignissen. „Gleichgültig« ist ein häßliches Wort, denn Gott ist niemals gleichgültig. Seine Art, sich allem zu stellen, ohne die Fassung zu verlieren, ohne zu richten und anzuklagen, ohne aufzuhören zu lieben, wird von den Menschen als Gleichgültigkeit bezeichnet. Aber es ist keine Gleichgültigkeit; es ist eine größere Liebe, die liebevoll zudecken will, und die sich nicht von der Liebe fortzerren lassen will.

Es ist die Liebe des Vaters, der die Kinder liebt, der sie alle beide liebt, den Leidenden und den Gewalttätigen.

Eine heilige Gleichgültigkeit: eine größere Liebe!

 

3. E

„Vater unser, der du bist im Himmel!«

Wenn der Himmel der „Ort« des Vaters ist, werde ich mich nicht von der Erde bedingen lassen, weder in den Beziehungen mit anderen Christen, noch mit anderen Menschen.

Die Güter und die Ereignisse der Erde können überwunden und relativiert werden, denn es gibt eine andere Realität.

Dieses Wort des Gebetes läßt mich die Augen vom Sichtbaren auf das Unsichtbare erheben.

Der Vater selbst, der auf uns schaut, bleibt nicht beim Äußeren hängen, sondern er schaut auf das Herz.

Und wenn wir uns daran gewöhnen, die Augen auf Ihn gerichtet zu halten, werden wir imstande sein, zu sehen, was uns auf den ersten Blick verborgen bleibt. Wenn ich auf eine Person schaue und gewohnt bin, die Augen zum Himmel des Vaters zu richten, dann bin ich nicht mehr beeindruckt vom Kleid oder vom Ton der Stimme, noch von den Ringen oder von der Leichtigkeit zum Gebrauch des Scheckbuches, auch nicht von den brüsken Bewegungen dessen, der sich würdevoll geben will, noch von den bedrückten Bewegungen dessen, der die Aufmerksamkeit auf sich ziehen will. Ich sehe hingegen den inneren Reichtum oder die innere Armut, die Fähigkeit oder Unfähigkeit zu lieben, die echte, falsche oder nicht bestehende Beziehung zu Jesus.

„Du bist im Himmel!« Ein Wort, das mich zur Betrachtung drängt, zu einer anderen Aufmerksamkeit, um jenseits des Sichtbaren zu schauen.

Wenn ich einer Person begegne, die mich liebt, erkenne ich das weiche Herz des Vaters, der mich seine Gegenwart erleben läßt. Wenn ich einer Person begegne, die mich beneidet oder haßt, oder mich mit Gleichgültigkeit behandelt, sehe ich den Wunsch des Vaters, daß ich auf derselben Art liebe, wie er.

Wenn ich einer Widerwärtigkeit oder dem Leiden begegne, sehe ich dann in dieser unerwarteten Situation den Ruf Gottes, auf neue Art zu lieben? Wenn ich einer Freude oder einem freudigen Ereignis begegne, sehe ich dann die Weisheit des Vaters und seine Selbstlosigkeit ?

Gott sieht mich immer vom Himmel her, aber auch ich kann „lernen«, ihn immer von der Erde zu sehen! Ich darf mich nicht von den Dingen blenden lassen, besonders nicht von jenen, welche in mir Stolz und Eitelkeit entstehen lassen könnten.

Die Demut und das Kleine sind das Licht, das die vermeintliche Finsternis des Himmels durchdringen kann.

Wenn das Tageslicht verschwindet, das mir ein Gefühl der Selbstgenügsamkeit und der Sicherheit gibt, und wenn es scheint, daß der Himmel noch finsterer wird, gerade dann läßt er mich das Glänzen der Sterne und die Schönheit des Mondes sehen.

Die Demut ist die scheinbar finstere Situation, die es mir erlaubt, mich an den tiefsten und schönsten Geheimnissen der Liebe „unseres Vaters« zu erfreuen. Er hat „seine Dinge den Kleinen und den Demütigen offenbart.« [Mt 11,25]

Die Demut erlaubt mir, im Schatten Jesu, in ihm verborgen zu bleiben. Er ist im Himmel und schaut den Vater von Angesicht zu Angesicht. Ja, auch ich sehe ihn. Das heißt, ich freue mich direkt an seiner Liebe und ich antworte ihm!

Ich brauche keine besondere Situation oder Stellung: jeder beliebige Beobachtungspunkt, jeder beliebige Moment im Tageslauf, jedes beliebige Gefühl, das in mir entsteht: alles kann mir zum „Fenster« werden, um dem Blick dessen zu begegnen, der mich als Kind behandelt, der mir die Verantwortung eines Bruders überträgt, der mich mit väterlichen Gefühlen zur ganzen Welt überhäuft.

Vater, der du bist im Himmel!

Du bist über, aber neben mir! Du bist über, aber in mir, denn auch mein Herz ist manchmal ein undurchdringlicher Himmel!

 

3. F

Es gibt noch ein Wort, das in mir ständig auftaucht, wenn ich an den Himmel als Wohnung Gottes denke. Es ist ein Satz, den der heilige Paulus an die Epheser schreibt. „Derselbe, der herabstieg, ist auch hinaufgestiegen bis zum höchsten Himmel, um das All zu beherrschen (zu füllen)« [Eph 4,10]

Da wird Jesus vorgestellt. Jesus ist herabgestiegen: er hat das Leben Gottes, seine Liebe, sichtbar und greifbar gemacht. Er hat den Menschen „hier unten« auf der Erde die Liebe und die Liebesfähigkeit des Vaters mitgeteilt. „Er ist auch hinaufgestiegen bis zum höchsten Himmel.« Jesus geht nicht nur in den Himmel ein, sondern „steigt bis zum höchsten Himmel hinauf.«

Mir kommt vor, daß diese Worte uns zu einer reineren Betrachtung hinführen wollen.

Jesus, der Sohn Gottes, ist über allen Dingen, den geschaffenen, den sichtbaren und den unsichtbaren. Er steht über allem, was wir uns als Wohnung oder Offenbarung Gottes vorstellen können. Er übersteigt unsere schönsten Phantasien, und keine Situation – auch die uns unverständliche und unerklärliche – bedingt ihn. Jesus ist im Reich der vollen Freiheit. Er kann seine Liebe ausüben, ohne von irgend etwas aufgehalten zu werden. Er kann sogar lieben, ohne Dinge, Gesten, sichtbare oder unsichtbare Zeichen nötig zu haben.

Er ist bis zum höchsten Himmel hinaufgestiegen, „um das All zu füllen.« Müssen die Dinge gefüllt werden? Womit?

Alle Wirklichkeiten werden gesehen wie Behälter: diese können leer oder voll sein.

Mit welcher „Substanz« will der Sohn alle füllen? Es gibt keinen Zweifel – Er füllt alles mit Liebe. Er macht, daß alles – jede Kreatur – eine Gabe ist, ein Objekt voller Liebe, gewünscht und gesucht nicht um seiner selbst willen, sondern wegen der Liebe, die es in sich trägt; alles ist Werkzeug und Gabe des Vaters, alles orientiert uns zum Vater hin. Jetzt, wo der Sohn „über dem höchsten Himmel steht«, betrachten wir die Dinge nicht mehr getrennt nach irdischen und himmlischen. Alles ist voll, alles ist Gabe, alles ist der Aufmerksamkeit und Annahme würdig. Es gibt nicht mehr das Wenige oder das Viele, das Weniger oder das Mehr, das Häßliche oder das Schöne, das Süße oder das Bittere. In allen Dingen, seien sie für uns klein oder groß, ist die Fülle! Ich wünsche nichts anderes, als ich schon bin oder was ich schon besitze: ich gehe ein in den Frieden, in die Hingabe.

Auch ich bin vom Sohn Gottes erfüllt. Auch ich bin Zeichen und Gabe dessen, der Vater ist, unser Vater, den die Himmel und die Erde nicht fassen können, obwohl er sich herabwürdigt, den Himmel zu bewohnen und die Erde zum „Schemel seiner Füße« zu machen!

„Ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist.« [Eph 4,6] Die Fülle, mit welcher der gekreuzigte, auferstandene und in den Himmel aufgefahrene Jesus alle Dinge umgibt, ist die wirklich allgegenwärtige Gegenwart des Vaters; er ist „Vater aller«; alle sollen ihm danken als dem Urquell; alle sollen deshalb auf ihn schauen.

„Er ist über allem«; niemand kann sich mit ihm vermischen, niemand kann an die Stelle Gottes treten oder sich einbilden, etwas ohne eine Beziehung mit ihm tun zu können.

„Er wirkt durch alle.« Niemand ist arm, niemand ist verachtungswürdig, niemand steht unter einem anderen, denn der Vater kann die Hände, den Willen und das Herz jedes Menschen, sogar des kleinsten, schwächsten und ausgeschlossensten gebrauchen.

„Er ist in allem«. Neigen wir unser Haupt vor jedem Menschen. Stellen wir unsere Vorhaben und unsere Vorschriften vor jedem Menschen zurück, denn in jedem Menschen zeigt sich die Allmacht, die Barmherzigkeit und die Bitte um Liebe unseres Vaters.

Wie groß und wie klein ist der Himmel, in dem unser Vater wohnt! Sogar wer auf dem Gehsteig an mir vorbeigeht oder auf der Straße an mir vorbeifährt, sogar er ist ein „Himmel«, denn: „Er ist in allem«!

Vater unser, der du bist im Himmel!

Ich liebe dich, ich liebe dich mit Jesus, ich liebe dich immer.

Ich liebe dich, der du mich überall liebst;

ich liebe dich, dem ich jeden Tag begegne;

ich liebe dich, der du dich verbirgst;

und wenn ich glaube, daß du dich verbirgst, sehe ich dich schon in einer Begebenheit oder in den Augen der Menschen, denen ich begegne.

Und dies alles wegen Jesus!